Komplettbearbeitung von Teilen für Fahrzeuggetriebe

Spektrums
Circa 60% der Teile des gesamten zu bearbeitenden Spektrums für die Fahrzeuggetriebe sind Rotationsteile, die praktisch alle auf den WFL‘s gefertigt werden.
Zur weiteren Steigerung der Effizienz setzt Renk an zwei Maschinen Automatisierungslösungen von FRAI Robotic Solutions erfolgreich ein. V.l.n.r.: Wolfgang Neukäufer – Meister Komplettbearbeitung, Martin Wimmer – Fertigungsleiter Fahrzeuggetriebe, Stefan Müller – Produktionsleiter Fahrzeuggetriebe.
Getriebe
Antreiben, bremsen und lenken: das Getriebe stellt die Mobilitätszentrale der bis zu 70 Tonnen schweren Kolosse dar.
Luftbild Renk
1873 gründete Johann Renk in Augsburg das gleichnamige Unternehmen, das später als Augsburger Zahnräderfabrik bekannt wurde. Heute produziert Renk neben dem Stammwerk in Augsburg auch noch an weiteren Standorten in Deutschland, der Schweiz, England, Kanada und den USA.

Um gepanzerte Fahrzeuge in Bewegung zu setzen, sind große Antriebskräfte erforderlich. Hierbei sorgen Getriebe der Renk GmbH mit Hauptsitz in Augsburg für den entsprechenden Vortrieb. Schließlich gilt Renk als der Spezialist für vollautomatische Getriebe für schwere militärische Kettenfahrzeuge. Und wo Top-Performance gefragt ist, sind Fertigungslösungen von WFL nicht weit. Doch alles der Reihe nach…

Anders als im Automobilbereich, wird ein schweres Kettenfahrzeug mit dem Getriebe angetrieben, gelenkt und sogar gebremst. Letzteres geschieht, im Fall der von Renk ausgestatteten Fahrzeuge, durch die Zusammenwirkung von zwei unterschiedlichen Bremssystemen für niedere und hohe Geschwindigkeiten mittels einer mechanischen Bremse im unteren Geschwindigkeitsbereich und einer verbauten hydrodynamischen Wirbelstrombremse, einem sogenannten Retarder. Das Getriebe stellt durch die Funktionen Schalten, Lenken und Bremsen die Mobilitätszentrale dieser Fahrzeuge dar und spielt somit eine überlebenswichtige Rolle. Und das bei Kolossen, die bis zu 70 Tonnen auf die Waage bringen, im Maximum 72 km/h fahren und gleichzeitig auf Straße oder freiem Gelände äußerst beweglich sein müssen. Mit der Belieferung von mehr als 40 Armeen weltweit darf Renk den Titel des Weltmarkführers für die Ausstattung mit Getrieben von militärischen Kettenfahrzeugen ab 40 Tonnen tragen. Jedes Getriebe ist für eine spezielle Fahrzeugtype konzipiert und auf die jeweilige Ausstattung und Motorisierung angepasst. D.h. ausgehend von der entsprechenden Grundgetriebetype erfolgt die individuelle Anpassung auf die einzelne Anwendung im Fahrzeug. Die Lenkung des Fahrzeuges wird über die Beeinflussung der Abtriebsdrehzahlen über das Seitenvorgelege, danach auf die Kettenradtrommel direkt auf die Kette realisiert. Die Fahrtrichtung kann also nur beeinflusst werden, indem die Drehzahlen an den Ketten variieren. Bei gleichsinniger Veränderung der Drehzahl bremst oder beschleunigt das Fahrzeug. Bei unterschiedlicher Drehzahl erfolgt eine Lenkbewegung und bei gegenläufigem Abtrieb resultiert eine Drehung des Fahrzeugs um die eigene Hochachse. All das muss das Getriebe realisieren und den enormen Kräften - auch unter allen erdenklichen Bedingungen - auf Dauer standhalten. Wenig überraschend ist, dass dies eine Vielzahl komplexer Fertigungsteile mit hohen Qualitätsanforderungen mit sich bringt.

Die für die Getriebe benötigten Bauteile sind auf drei Fertigungssegmente aufgeteilt: Dies sind Gehäuseteile, kleine kubische Teile (kraftaufnehmende Teile, Ventilblöcke, Teile aus der Bremse und strömungsmechanische Bauteile) und rotatorische Teile mit Verzahnungen für die Drehzahlübertragung. Letztere sind die typischen Teile, die im Leistungsstrang des Getriebes verbaut sind und das sind auch jene Teile, die sich besonders gut für die Komplettbearbeitung auf WFL Millturn Maschinen eignen. Es gibt in diesem Segment eigentlich kein Teil, das nur reine Drehbearbeitung aufweist. Neben der Drehbearbeitung kommen typischerweise komplexe, gefräste Geometrien sowie eine Vielzahl von Bohrungen vor. Als Werkstoffe kommen vorwiegend hochfeste Stähle mit einer Festigkeit von 1200-1300 N/mm2 als Stangen- und Schmiedeteile zum Einsatz. „Alles, was rund ist und eine Verzahnung hat, kommt auf eine WFL-Maschine“, lautet das allgemeine Credo. „Typischerweise wird in Kleinserien mit Losgrößen von 1-300 Stück gefertigt, wobei die mittlere Losgröße um die 50 Stück liegt“, erklärt der Leiter der Fertigung, Martin Wimmer. Aber auch Teile für Prototypen-Getriebe in Losgröße 1-5 Stück kommen nicht selten vor. Aufgrund der Flexibilität der WFL-Multitalente wird keine eigene Protypen-Fertigung mit abweichenden Fertigungsprozessen benötigt. Auch kleinste Losgrößen können sehr wirtschaftlich über den bestehenden Maschinenpark laufen. Außerdem entfallen dadurch die kostenintensiven Sonder-Spannvorrichtungen, denn auf den Millturns erfolgt die Werkstück-Aufspannung über Standard- und einige Sonder-Backen im Drei-Backen-Futter.

Ein entscheidender Faktor für die Produktivität der Maschinen stellt die Programmierung dar. Diese erfolgt ausschließlich über das Programmiersystem Siemens NX CAD-CAM-System. „Für die ersten vier WFL hatten wir auf Grund der unterschiedlichen Maschinenmodelle auch unterschiedliche Postprozessoren. Mittlerweile sind die PP´s so standardisiert, dass alle Maschinen über einen PP laufen. Der Vorteil ist, dass die Planung der Fertigung zunächst maschinenunabhängig erfolgen kann. Das heißt, es wird ein Programm erstellt, ohne zu wissen auf welcher Maschine es dann letztendlich gefertigt wird. Erst wenn der Auftrag gestartet ist, entscheidet die Produktionslogistik, auf welcher Maschine die jeweiligen Teile gefertigt werden“, erklärt Wimmer. Der komplette Simulationslauf der Fertigung erfolgt im CAD-CAM. Hier spielt die Durchgängigkeit der Daten von der Konstruktion der Bauteile bis zur Fertigung an der Maschine eine wichtige Rolle. Im CAM selbst ist ein Modell der Maschine, der Spannfutter, Spannbacken, Roh- und Fertigteile sowie der Werkzeuge hinterlegt. Damit wird in der Simulation die Realität sehr gut nachgebildet und derart getestete Programme laufen auch in der Praxis störungsfrei durch. „Wir kommen damit sehr gut klar. Durch die durchgängige Simulation haben wir praktisch keine Kollisionen mehr“, bringt es Wimmer auf den Punkt. Eine gewisse Ausnahme bei der Simulation bilden die Verzahnungen. Verzahnt wird auf den Millturns bis Modul 4. Hier kommen hauptsächlich spezielle WFL-Zyklen zum Abwälzfräsen zum Einsatz, da diese sehr einfach und schnell über die Eingabe der Verzahnungsparameter anwendbar sind.

Die erste WFL Millturn wurde bereits 2010 geliefert und seither beschäftigt man sich bei Renk intensiv mit der Komplettbearbeitung. „Wir haben damals unser gesamtes Teilespektrum von sehr kleinen Teilen bis ca. 600mm Durchmesser analysiert und verfolgten das Ziel, den vorhandenen, sehr inhomogenen Maschinenpark zu vereinheitlichen. Wir wollten für das gesamte Teilespektrum ein Maschinenkonzept, das über verschiedene Baugrößen identisch aufgebaut ist. Da war die WFL von der M35 bis zur M50 ganz einfach optimal aufgestellt. Neben dem Drehen, Bohren und Fräsen auf einer Maschine war uns das Verzahnen insbesondere von Modul 3 in Qualität 8 mit einem fliegend gespannten Wälzfräser wichtig. Das haben zwar mehrere Hersteller zugesagt, aber nachgewiesen hat es letztendlich nur WFL. Insbesondere die äußerst stabile B-Achsen-Indexierung mit der großen Hirth-Verzahnung macht sich da positiv bemerkbar. Der WFL-typische Aufbau der Dreh-Bohr-Fräseinheit, bei dem die Frässpindel als drehmomentstarke Getriebespindel ausgeführt ist, sorgt für äußerst hohe Zerspanungsleistungen in allen Drehzahlbereichen. Das extrem stabile Maschinengestell macht sich nicht nur in puncto Produktivität bezahlt, sondern ermöglicht letztendlich das dauerhafte Einhalten engster Geometrietoleranzen und die Erzielung von optimalen Oberflächenqualitäten“, fasst Wimmer die vielfältigen technischen Hintergründe zusammen und erklärt anschaulich die weiteren Vorteile: „Die Maschinen sind mit einem 80 bar Hochdruck-Kühlmittelsystem ausgestattet, wobei auch auf Luft umschaltbar ist. Alle Maschinen sind neben dem Standard-Werkzeugsystem Capto C6 mit einer zusätzlichen, besonders stabilen Werkzeugaufnahme auf der Dreh-Bohr-Fräseinheit ausgestattet. Über eine hydraulisch betätigte Schwalbenschwanzaufnahme können schwere Bohrstangen oder schwere Sonderwerkzeuge äußerst stabil aufgenommen werden. Bei den Maschinen mit 3000 mm Spitzenweite ist, zusätzlich zum Standardmagazin, ein Pick-Up-Magazin für den automatischen Einsatz langer Bohrstangen, integriert. „Wir wollen mit einzelnen Spezialarbeiten nicht mehr auf andere Maschinen oder externe Lieferanten angewiesen sein“, erklärt Wimmer. „Dadurch ergibt sich eine besonders hohe Reduktion der Durchlaufzeit, aber auch eine deutliche Reduktion der Anzahl an Arbeitsgängen. Einzelne Arbeitspläne haben sich durch die Komplettbearbeitung um die Hälfte verkürzt. Durch die kombinierte Bearbeitung ergeben sich aber auch Einsparungen in der Laufzeit. Die durch die effizientere Nutzung freiwerdende Kapazität wird für zusätzliche Arbeiten auf der Maschine genutzt. Beispielsweise wird dort, wo ein großer Grat bei der Bearbeitung entsteht, gleich auf der Maschine entgratet. Dadurch verbesserte sich nicht nur die Produktivität, sondern auch die Arbeitssicherheit bzw. wird das Verletzungsrisiko minimiert. Besonders hilfreich in diesem Zusammenhang war die Anwenderschulung von WFL, bei der neben der Programmierung auch die konzeptionelle Planung des gesamten Bearbeitungsablaufes sowie die Spannmittelauswahl intensiv veranschaulicht wurde. Inzwischen betreiben wir im Produktbereich Fahrzeuggetriebe neun WFL Millturns in drei unterschiedlichen Baugrößen und zwei unterschiedlichen Drehlängen.“

Zur weiteren Effizienzsteigerung und Erhöhung des Nutzungsgrades wurde die letztgelieferte M35 (2017) mit einer Automatisierungslösung von FRAI Robotic Solutions ausgestattet. Diese wird zur Effizienzsteigerung zum Beispiel bei Planetenrädern genutzt. Mittlerweile wurde auch eine M40 automatisiert. „Wir kriegen´s perfekt auf unsere Anforderungen sowie für unsere Anwendung und Platzsituation angepasst. Wir haben genau das bekommen, was wir wollten. Bei der zweiten Anlage wollen wir noch eine Wendestation integrieren, sodass sich Mitarbeiter auf anspruchsvolle Arbeiten konzentrieren können“, freut sich Wimmer über das Resultat der Investition.

Beim Thema Service ist Renk mit einem eigenen Instandhaltungs-Team besonders gut aufgestellt und erledigt kleine bis mittlere Reparaturen im Haus. „Nur ganz am Anfang mussten wir erst lernen, dass ein Werkzeugwechsel an jeder beliebigen Längsposition stattfinden kann und da ist halt manchmal ein Werkstück im Weg. Aber das ist schon lange kein Thema mehr“, kann Wimmer heute über die ersten Erfahrungen scherzen.

Aktuell rückt auch bei Renk das Thema Maschinendatenerfassung immer mehr ins Rampenlicht. Dazu kommt bereits ein System zum Einsatz, bei dem über ein Cockpit der jeweilige Zustand der Maschine dargestellt wird. Da die durchgängige Verwendung über mehrere Werke im Vordergrund steht, setzt man hier auf eine Maschinenhersteller-unabhängige Lösung. Und ähnlich wie beim Thema CAD-CAM besteht hierbei eine enge Zusammenarbeit mit Siemens. Bei Predictive Maintenance und Condition Monitoring verfügt Renk bereits über beste Erfahrungen und eigene Lösungen: Das Renk Monitoring, das auch bei den Renk-Getrieben bewährt ist, wurde bereits für Werkzeugmaschinen adaptiert und bildet die Basis für dieses wichtige Zukunftsthema.

zurück
Back to top